Bericht der Siegener Zeitung vom 25.08.2021 (Foto: Kay-Helge Hercher)
Gmz ■ Die Chorlandschaft im Siegerland, eine feste Größe im Kulturangebot der Region, ist in Bewegung: Nicht nur, dass Chöre jetzt nach den langen Corona-Pausen wieder anfangen zu proben, dass (neue) Chorleiter ihre Arbeit mit neuen Chören aufnehmen oder dass manche Chöre die Flügel strecken müssen (wir berichteten), nein, es werden auch neue Impulse gesetzt. Ein Beispiel dafür ist der NGV, der Netphener Gesangverein, der sich neu aufstellt. Statt wie bisher drei Chöre, also Männer- und Frauenchor sowie den gemischten Chor Fun4Voices, wird es vermutlich demnächst nur einen Chor unter dem Dach des altehrwürdigen NGV geben, nämlich einen großen gemischten Chor.
Das ist, bestätigt Hubert Robert Groos, Präsident des NGV, die Information der SZ, tatsächlich der Plan. Am gestrigen Dienstag fand die dritte Probe des neuen Chores statt, 40 bis 50 Sängerinnen und Sänger sind bisher zu den Proben unter der Leitung von Dominik Schönauer, dem bisherigen Leiter des Frauenchores, in der Georg-Heimann-Halle in Netphen erschienen. Nach einer vierten Probe, so Groos, wollen die Verantwortlichen und Aktiven ein Resümee ziehen und endgültig entscheiden, wie es weitergeht (ggf. mit Satzungsänderung und später dann auch neuem Vorstand für den NGV).
Viele Faktoren haben die Neuausrichtung angestoßen, erzählen der Präsident sowie der Vorsitzende des Männerchores, Dieter Bruch, in Gesprächen mit der SZ. Da war einmal die Corona-Pause, die manch einen Sänger, manch eine Sängerin vom Singen abgebracht hat, durch Alter oder Krankheit oder berufliche und familiäre Neu-Orientierung.
Gerade im Männerchor spielte das Alter eine große Rolle: Der Männerchor, einst stolzes „Aushängeschild“ des NGV und in diesem Jahr 160 Jahre alt, zählte zuletzt nur noch 20 Sänger, fast die Hälfte davon über 80 Jahre alt. Eine zukunftsorientierte Chorarbeit mit Zielen wie Leistungssingen ist da sicher nicht die oberste Priorität der Mitglieder. Es war fraglich, so Bruch, ob man mit dieser Mannschaft nach Corona wieder reguläre Probenarbeit für Konzerte würde aufnehmen können. U. a. deshalb entschloss sich der Vorstand zu handeln, bevor die Umstände ihn zwangen.
„Es macht allen Spaß.“ Dieter Bruch über die ersten drei Proben des gemischten Chores.
Dazu kam, dass Fun4Voices einen neuen Chorleiter, eine neue Chorleiterin finden musste: Ein „Übernahmekandidat“ wurde zwar gefunden, aber der musste kurz vor dem Neustart aus beruflichen Gründen einen Rückzieher machen.
Dazu kamen Probleme mit den Probenräumen: Wo gibt es in Netphen Räume, in denen drei große Gruppen Corona-gerecht proben können? Die Heimann-Halle ist wegen Renovierungen derzeit nur eingeschränkt nutzbar, für Freiluftproben ist das Siegerländer Wetter, vor allem im Herbst, zu regenreich. Wohin also mit drei Chören? Und auch die Finanzen wollten bedacht sein: Die einnahmefreien Corona-Zeiten haben große Löcher in die Kassen gerissen, ob die Einnahmen wieder sprudeln, ist derzeit ja noch nicht absehbar.
Wie kann es weitergehen, war also die Frage, die der geschäftsführende Vorstand zu beantworten hatte, so Groos. Überlegungen zur Neugestaltung der Chorstruktur ergaben: Ein Chor sollte es sein für alle, die weiterhin im NGV singen wollen. Eine Versammlung der Aktiven stimmte dem Plan zu: Einzelne Einwände wurden geäußert, so Groos, aber die große Mehrheit unterstützt die neue Ausrichtung: „Es geht um die Zukunft des NGV“, betont Groos.
Mit Dominik Schönauer wurde ein ebenso erfahrener wie mitreißender Dirigent gefunden, der den neuen Chor leistungsorientiert nach vorne bringen will. Anvisiert ist zunächst ein Konzert im Frühjahr, wenn die Corona-Regelungen es erlauben: „Man muss ja Ziele setzen“, so Bruch, für die 40 bis 50 Sängerinnen und Sänger im Alter zwischen circa 20 und 80+ Jahren, wobei der Altersschnitt bei 55 bis 60 liegt, Singfreudige sind natürlich jederzeit willkommen, ergänzen beide übereinstimmend. Das vorläufige Fazit der ersten drei Proben, so Dieter Bruch: „Es macht allen Spaß.“
Der Männerchor unter der Leitung von Ralf Stiebig probt übrigens auch noch. Denn, wenn es möglich ist, wollen die Sänger im November beim Stiftungsfest noch einmal auftreten und sich stilvoll von ihrem Publikum verabschieden.
Denn das Publikum, so Groos, ist ja schließlich auch ein wichtiger Faktor in diesen ganzen Überlegungen: Der NGV will sein Publikum weiter erfreuen. Mit der Entscheidung für einen gemischten Chor und damit auch der nicht leichtfertig beschlossenen Abkehr von liebgewonnen, aber nicht mehr tragfähigen Traditionen hoffen die NGVler, sich für die Zukunft des Traditionsvereins entschieden zu haben.